Workshop 2 | Oral History 2.0. – Medialisierung und Präsentation von Zeitzeugen

Was ändert sich, wenn Oral History nicht für wissenschaftliche, sondern für öffentliche Vermittlungszwecke angewendet wird? Im Workshop wurden zunächst Unterschiede zwischen Oral History und Public Oral History und Möglichkeiten und Problematiken der Einbettung von Zeitzeugen in zeithistorischen Ausstellungen mit Schwerpunkt auf dem Prozess der Medialisierung aufgezeigt. Im zweiten Teil wurde anhand von Fallbeispielen herausgearbeitet, welche Gesichtspunkte bei der Einbettung von Zeitzeugen in den Kontext einer Ausstellung beachtet werden müssen.

Dr. Irmgard Zündorf (ZZF Potsdam)

Dr. Irmgard Zündorf

Der parallel zum ersten stattfindende zweite Workshop beschäftigte sich unter der Leitung von Christian Ernst, der Kuratorin Stefanie Wahl und Dr. Irmgard Zündorf (ZZF) mit der Medialisierung und Präsentation von Zeitzeugen am Beispiel zeithistorischer Ausstellungen.

Dem Workshop lag die These zugrunde, dass sich der Umgang mit zu solchen Zwecken geführten audiovisuellen Interviews von der klassischen Methode der Oral History unterscheide. Dazu fasste Irmgard Zündorf zu Beginn die historische Entwicklung, die Grundlagen und die Kritik sowie den Mehrwert der Oral History zusammen.

Interview zum Workshop mit Dr. Irmgard Zündorf:

Christian Ernst ging auf der Grundlage der Ergebnisse eines Projektseminars an der Universität Potsdam auf die Medien, Funktionen und Problematiken „angewandter Oral History“ ein und stellte die Begriffe „Public Oral History“ und „Oral History 2.0“ zur Diskussion. Zudem führte er an einem Modell vor, in welchen Schritten sich klassische und angewandte Oral-History-Projekte unterscheiden.

Stefanie Wahl (Kuratorin, Berlin)

Stefanie Wahl

Stefanie Wahl verdeutlichte aus Sicht einer Kuratorin am Beispiel eigener Ausstellungen wie „Volksaufstand. Der 17. Juni 1953 in Bitterfeld-Wolfen“ (2003), der Open-Air-Ausstellung Berlin Alexanderplatz „Friedliche Revolution 1989/1990“ und der von ihr verantworteten Neukonzeption des Grenzland-Museum Eichsfeld (2010) wie sich die Rolle und Inszenierung von Zeitzeugen in den letzten Jahren – auch im Zuge digitaler Technik – verändert haben. Beispielhaft erläuterte sie die Schwierigkeiten, Zeitzeugen mit unterschiedlichen Perspektiven für öffentlich präsentierte Interviews zu gewinnen, Aspekte der Vorbereitung, Durchführung, Aufbereitung sowie Einbettung von Zeitzeugeninterviews für Ausstellungen und Reaktionen von Ausstellungsbesuchern.

Gruppenarbeit:

In einer Gruppenarbeit erarbeiteten die Teilnehmenden anschließend jeweils eine Ideenskizze für zeithistorische Ausstellungen in unterschiedlichen Einrichtungen (Gedenkstätte in einem früheren Stasi-Gefängnis, Museum für Alltagsgeschichte der DDR, Industriemuseum, grenznahes Museum zur deutschen Teilung, Museum für Politikgeschichte mit bundesweiter Bedeutung). Dabei wurde deutlich, wie sehr die Auswahl und Inszenierung von Zeitzeugen in Ausstellungen von konkreten institutionellen Kontexten und dem Ort abhängig ist, insbesondere was die Repräsentierung unterschiedlicher Perspektiven („Multiperspektivität“) betrifft. So sei die „Täter-Perspektive“ zum historischen Verständnis politischer Verfolgung und der Organisation des Untersuchungshaftsystems wichtig; diese könne jedoch nach Meinung der meisten Teilnehmenden nicht in Form von „Täter-Interviews“am historischen Ort präsentiert werden.

Gruppenarbeit

Gruppenarbeit

Beim Thema Alltag wurde gefragt, wie offizielle und private Perspektiven gegenübergestellt sowie Vergangenheits- und Gegenwartsbezug vereinbart werden können, um durch Distanzierung einer „Nostalgie-Gefahr“ vorzubeugen. Die Gruppe zu den Industriemuseen betonte, dass ehemalige Akteure nicht nur als Technikexperten, sondern auch als Alltags-Zeitzeugen gesehen werden sollten. Hier sei es wichtig, die Formen Experteninterview und lebensgeschichtliches Interview zu verbinden und Perspektiven verschiedener Betriebsebenen und beider Geschlechter einzubeziehen. Bei dem grenznahen Museum wurde insbesondere die Einbindung westdeutscher Perspektiven und der impliziten Zeitzeugenschaft von Besuchern vorgeschlagen. Hier könnte laut einem Teilnehmer – analog zum Web 2.0 – eine interaktive und partizipative Komponente eingebaut werden. Für das politikgeschichtliche Museum wiederum wurde für wichtig befunden, Perspektiven der Entscheidungsträger durch Stimmen von jenen, die Entscheidungen umgesetzt haben oder davon betroffen sind, zu ergänzen, um offizielle Narrative zu durchbrechen.

Der Workshop zeigte somit, dass verschiedene Kontexte in Vorbereitung, Durchführung und Aufbereitung der Interviews Konsequenzen für die Anwendung von „Oral History“ zu Präsentationszwecken haben, die bereits bei der Konzeption eines Projektes zu berücksichtigen sind. Einig waren sich die Teilnehmenden darin, dass Zeitzeugen in Ausstellungen zu Multiperspektivität und nicht zur Vermittlung einseitiger Sichtweisen beitragen sollen. Dabei war klar, dass dies nicht von einzelnen Zeitzeugen geleistet werden könne, sondern durch die Präsentation verschiedener Stimmen umgesetzt werden müsse. Diese können so arrangiert werden, dass sie die Geschichtsdeutung ihrer Macher verstärken oder konterkarieren.

Diskussion:

In der Diskussion

In der Diskussion

In der Diskussion wurde dafür plädiert, Spannungsfelder zwischen verschiedenen Aussagen zu erzeugen, die zur eigenständigen Auseinandersetzung der Rezipienten anregen. Ein Teilnehmer plädierte in diesem Sinne für einen ambitionierteren Umgang mit Zeitzeugen und forderte, die Chancen des Mediums zu nutzen und die oft am Fernsehzeitzeugen angelehnte Inszenierungsweise zu durchbrechen, um Irritation und Distanzierung zu erzeugen.

Diskussion

Diskussion

Entwicklungsbedarf wurde in der abschließenden Diskussion auch hinsichtlich der Archivierung von Interviews, aus denen jeweils nur kurze Ausschnitte gezeigt werden können, und auch der pädagogischen Nutzung von Zeitzeugen-Elementen in Ausstellungen konstatiert.